Donnerstag, 28. Februar 2013

Osh - drei Jahre nach den Pogromen

Nein, ich bin nicht verschollen ;-) Ich war die letzten Tage im Hochgebirge, hatte in meinen Unterkuenften kein Warmwasser, z.T. nicht einmal Strom. Ich haette euch Schafe oder Esel anbieten koennen, aber keinen  Blogeintrag.

Zur Reise durch das Pamirgebirge komme ich noch. Zuerst wollte ich Euch noch von Osh erzaehlen.
 

Beim Namen Osh klingelt es vielleicht bei einigen von Euch. Die Stadt hat vor knapp drei Jahren weltweit fuer Schlagzeilen gesorgt, als hier fuenf Tage lang ein blutiger Buergerkrieg herrschte. Offiziell gab es knapp 500 Tote, es wird allerdings geschaetzt, dass es bis zu 2500 Tote gewesen sein koennten. Ausserdem gab es tausende Verletzte.

Die Kaempfe fanden zwischen Kirgisen und der usbekischen Minderheit statt. (Osh liegt am Rande des Ferganatals, nicht weit von der usbekischen Grenze. Das Gebiet gilt als "ethnisches Pulverfass".)

Drei Viertel der Toten waren, den Angaben nach, Usbeken. Ueber den Ausloeser des Krieges gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Es gab Geruechte, dass usbekische Jugendliche nach einem Diskobesuch um sich geschossen und dann ein Maedchenwohnheim ueberfallen haben sollen. Der stellvertretende kirgisische Sicherheitschef machte den kirgisischen Ex-Praesidenten Kurmanbek Bakijew fuer die Eskalationen verantwortlich. Er habe ausgebildete Kaempfer und Gangs beauftragt, die ohnehin angespannte Stimmung in Osh auszunutzen und den Krieg zu entfachen.

Ich habe mit drei Usbeken und einem Kirgisen gesprochen. Die Usbeken waren alle der Meinung, Bakijew habe den Krieg organisiert und bezahlt, der Kirgise machte Putin verantwortlich.

Fuer die Bakijew-Version spricht, dass der Praesident zwei Monate vor den Unruhen gestuerzt wurde, die Macht zunaechst nicht abgeben wollte und dann ins Exil floh. Ausserdem brach der Krieg ungewoehnlich ploetzlich aus, mit koordinierten Aktionen.




Kleiner Exkurs zur politischen Situation in Kirgistan:

Anders als Kasachstan, wo seit dem Zusammenbruch der Sowetunion nur Nursultan Naserbajew herrscht, ist Kirgistan ein Land der Revolutionen. Kirgistan gilt als instabile "Insel der Demokratie" in Zentralasien. Die Unruhen gingen meist vom armen Sueden aus. Das Zentrum dort ist Osh.

Der erste Praesident Kirgistans war Askar Akajew, immerhin 14 Jahre an der Macht. Er wurde gegen Ende hin immer autoritaerer und korrupter und dann schliesslich, nach Unruhen, durch die so genannte "Tulpenrevolution" gestuerzt. Dann kam der bereits erwaehnte Kurmanbek Bakijew. Aehnliches Spielchen, Sturz 2010. Dann gab es Uebergangspraesidentin Rosa Otunbajewa und schliesslich den aktuellen Praesidenten Almasbek Atambajew.

Um es kurz zu machen: Viele Kirgisen, mit denen ich gesprochen habe, fanden alle ihre Praesidenten beschissen: "Unsere Politiker stopfen sich nur die Taschen voll, waehrend das Land verarmt", hiess es immer wieder. Ein Kirgise sagte mir: "Wir brauchen einen starken maechtigen Mann an der Spitze."

So etwas hoert wiederum der Sultan aus Kaschstan gerne, hat er doch in einem Interview mit Euronews gesagt: "Gucken Sie sich mal an, was in Kirgistan los ist ... Deswegen muessen wir in Kasachstan langsam machen, das Land ist noch nicht reif fuer eine Demokratie nach westlichen Masstaeben"



 
Doch zurueck zu Osh:

Ich wollte wissen, wie das Leben in dieser Stadt heute aussieht, drei Jahre nachdem dort hunderte Menschen brutal ermordet wurden. Ich wollte vor allem mit Usbeken sprechen, da sie am meisten gelitten hatten. Es gab wohl einen regelrechten kirgisischen Mob, der durch die Strassen gezogen ist, usbekische Geschaefte gepluendert und Hauser in Brand gesteckt hat. Usbeken haben wiederum Racheakte veruebt. Vielen Menschen soll die Kehle durchgeschnitten worden sein.

In der Innenstadt von Osh sieht man heute vor allem Kirgisen. Viele Usbeken sind nach Usbekistan oder Russland geflohen und nicht zurueckgekehrt. Vor dem Krieg soll der Anteil der Usbeken in Osh bei etwa 40 Prozent gelegen haben. Es wird geschaetzt, dass etwa ein Drittel nicht mehr da ist.

Ich war mir anfangs nicht sicher, ob es ueberhaupt moeglich sein wird, mit Usbeken zu sprechen, ob es nicht zu gefaehrlich ist, sie zu treffen.
Doch ich hatte schliesslich das so genannte "Reporterglueck". Die Manager meines Hostels (beide um die 30) waren Usbeken. Sie haben mir Interviews gegeben, wollten aber ihre Namen nicht veroeffentlicht haben. Ich gebe einfach mal ihre Schilderungen wieder.

"Ich hatte Dienst hier im Hostel, als wir ploetzlich Schuesse hoerten, direkt vor der Tuere. Ich dachte zuerst, das sei eine Performance, doch dann kamen Schreie hinzu. Zu diesem Zeitpunkt waren sechs oder sieben Backpacker da, aus Israel. Wir haben im Hostel gewartet und als es am naechsten Tag ruhig wurde, haben wir die Gaeste aus der Stadt bringen lassen. Ich blieb die naechsten drei Tage im Hostel, habe mit Verwandten und Freunden telefoniert. Ein Freund, ein reicher usbekischer Geschaeftsmann, wurde ermordet, zusammen mit seinem Vater. Die sind in sein Haus und haben alles mitgenommen, was sie gefunden haben. Ich bin am ersten Tag der Kaempfe kurz bis zur Hauptstrasse vorgelaufen. Dort sah ich brennende Hauser und Menschen, die sich gepruegelt haben. Nach drei Tagen bin ich zu meinem Wohnviertel gelaufen. Es wurde von Polizisten bewacht, weil es ein gemischtes Viertel ist. Ich habe einen Mercedes mit bewaffneten Maennern heranfahren sehen. Doch die Polizisten haben ihn nicht durchgelassen."

"Ich war waehrend der Kaempfe in meiner Machala (traditionelles rein usbekisches Wohnviertel) und habe sie verteidigt. Wir waren einige hundert Maenner und unsere Aeltesten haben alles koordiniert. Frauen und Kinder haben wir aus der Stadt gebracht. Wir haben Barrikaden errichtet und einen Graben ausgehoben, dass die Gangs mit ihren Autos nicht hineinfahren koennen. Aus dem kirgisischen Viertel direkt gegenueber kamen immer wieder Angriffe. Sie hatten Pistolen, allerdings mit leichten Patronen, die uns kaum verletzt hatten. Wir haben Steine geworfen. Irgendwann wollten beide Viertel Frieden. Unsere und ihre Aeltesten sind hervorgetreten, um zu verhandeln. Leider gab es ein paar aufgeheizte junge Typen auf der anderen Seite, die Steine schmissen, so dass die Aeltesten fliehen mussten. Auch wir mussten einige junge Typen auf unserer Seite fesseln. Sie hatten Benzin besorgt, um kirgisische Hauser anzuzuenden."

Die Schilderung eines Kirgisen:

"Ich habe in einem ueberwiegend usbekischen Viertel gewohnt. Am Tag der Unruhen sah ich aus meinem Fenster. Ich sah, wie sich junge Usbeken auf der Strasse versammelt haben. Sie hatten Baseballschlaeger und Knueppel, die komplett mit Naegeln bespickt waren. Ich hatte Angst um mein Leben und bin nach einem halben Tag aufs Land geflohen."

Von meiner Journalistenkollegin Edda aus Almaty hatte ich den Kontakt zu Ravshan Gapirow bekommen. Er tritt fuer die Rechte der Usbeken ein, bezeichnet sich als "Menschenrechtler". Ich habe ihn in seiner usbekischen Mahalla am Stadtrand von Osh besucht.

Es war ein sehr traditionelles Haus, als Viereck angeordnet, mit einem Hof in der Mitte. Wenn man ins Haus hieingeht, laueft man durch ewig lange Zimmer, immer wieder ums Eck. Innen stapelten sich usbekische Seidenteppiche, die die Frauen in dem Viertel selbst fertigen. Ravshan Gapirow unterstuetzt Usbeken in Osh, verteidigt sie u.a. bei Gerichtsprozessen.


"Die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit ist komplett in der Hand der Kirgisen. Ich kenne einige Usbeken, die unschuldig im Gefaengnis sitzen, wohingegen viele Kirgisen, die gemordet haben, ungeschoren davonkommen. Meinen Sohn haben sie auf der Strasse festgenommen, ein Auto hatte ploetzlich angehalten. Er wurde wegen Mordes angeklagt und sollte lebenslaenglich bekommen, einfach so, ohne dass er etwas gemacht hatte. Ich habe ihn verteidigt und er war der erste Usbeke, der freigesprochen wurde."

Ravshan Gapirow ist im Juni 2010 nur knapp mit dem Leben davon gekommen. Als er einen Lastwagen heranfahren sah, von dessen Dach mit einem Maschinengewehr geschossen wurde, ist er gerannt. Etwa ein dutzend Menschen sind bei diesem Angriff tot auf der Strasse liegengeblieben, erzaehlt Gapirow.

Ravshan Gapirow glaubt, dass nationalistische Regierungsmitglieder den Konflikt zwischen Kirgisen und Usbeken fuer ihre Machtspielchen missbrauchen wuerden. Die Nationalisten seien schon unter Bakiew an der Macht gewesen und der aktuelle Praesident habe es nicht geschafft, sich ihrer zu entledigen. Wenn dass nicht bald passiere, drohe ein weiterer Krieg in Osh, so Gapirow.

Ich wollte von Gapirow wissen, was er ueber die internationale Aufarbeitungskommission zu Osh denkt. Gapirow hat nur veraechtlich gelacht. (Okay, habe ich mir gedacht, aufgearbeitet ist da wohl noch lange nichts.)

Ich wollte wissen, wie das Leben in Osh heute aussieht. Alle meine Gespraechspartner meinten, dass sich die Lage zwar beruhigt habe, dass Usbeken nach Anbruch der Dunkelheit die Strassen in der Innenstadt meiden. Es habe immer wieder Ueberfaelle gegeben.

(Ich persoenlich habe mich nachst in der Stadt relativ sicher gefuehlt, war aber auch klar als Auslaender zu erkennen. Es standen immer wieder Gruppen junger Maenner auf der Strasse herum. Ich wurde gemustert, fand es aber nicht bedrohlich)

Einer meiner usbekischen Hostelmanager blickte schliesslich ganz optimistisch in die Zukunft:

"Ich glaube nicht, dass die Menschen aus Osh den Konflikt wirklich wollten. Junge ungebildete Typen wurden angestachelt. Wir haben fast drei Jahre gebraucht, um all die abgebrannten Gebauede wieder aufzubauen. Ich glaube das war vielen hier eine Lektion. Ich denke die Leute haben begriffen, dass Krieg niemandem Vorteile bringt."

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