Donnerstag, 21. Februar 2013

Die Waisenkinder aus Kirgistan

Back home in Bishkek, zwei ruhige Tage zum durchschnaufen. Heute hing ich fast ausschließlich in meiner Hostel-WG herum, auf meinem riesigen Bett, mit Laptop und Smartphone. Ich habe mir den Kopf zerbrochen, unter anderem auch über die Fragen: Wann fahre ich weiter? Wohin genau? Welche Geschichte interessiert mich als nächste: begleite ich die Drogenschmuggler an der tadschikisch-afghanischen Grenze oder treffe ich mich mit kirgisischen und usbekischen Extremisten im Ferganatal?

Kleiner Scherz  ;-)

Jedenfalls waren die Aufenthalte in Astana, Almaty und Bishkek gut vorgeplant, von zu Hause aus. Ich hatte mir viele Kontakte besorgt. Ab jetzt wird alles ein bisschen spontaner. Ob der Blog dadurch langweiliger oder eher lustiger wird, mal sehen ...

Ein, zwei Tage bleibe ich noch in Bishkek und ich muss schon sagen: Das ist ein Ort, an dem es einem schwer fällt, weiterzufahren. Die Stadt ist nicht sonderlich schön, doch es gibt immerhin viele Alleen und die Leute sind nett und entspannt.

Doch ich denke, es war vor allem die Unterkunft, die Bishkek zum bislang angenehmsten Stop gemacht hat. Hier habe ich mich keine Sekunde einsam gefühlt. Es waren immer entweder der Belgier oder der Ungare da. Wir waren viel zusammen unterwegs, hatten auch eine Menge Spaß.

Das "Alleinsein" war für mich im Vorfeld schon ein wichtiges Thema gewesen. Ich habe zwar viel Backpacker-Erfahrung, aber so völlig ohne Reisepartner unterwegs zu sein, das kannte ich noch nicht. Und dann auch noch zwei Monate in Zentralasien, im Winter, wenn von den ohnehin wenigen Touristen keiner da ist ... Ich habe mich oft gefragt: Wie wird das wohl werden?

Ich kann jetzt sagen: Ich habe mich Stück für Stück in die Reise eingefunden. Die ersten zwei Tage in Astana waren schon ziemlich komisch. Ich bin den ganzen Tag alleine durch den Schnee gestapft, lag abends in meinem Hotelbett und dachte mir: "Na super und das jetzt zwei Monate lang. Was machst Du hier eigentlich?"

Dann kam Almaty: Termine, Termine und die ersten netten Abende in geselliger Runde. Und jetzt, seit einer guten Woche, bin ich voll eingegrooved, jetzt kann kommen, was mag...
Doch genug von diesem sentimentalen Kram.






Ich will Euch erzählen, womit ich mich hier in Bishkek drei Tage lang beschäftigt habe.
Ich habe mir "Uplift Aufwind" angesehen, ein deutsch-kirgisisches Projekt für Waisenkinder.




Uplift Aufwind habe ich bereits in Berlin kennengelernt. Bei dem Projekt wirkt die Mutter von Olga, einer Freundin, mit. Mein Plan ist es, darüber eine längere Reportage zu machen, denn ich denke, dass man hier einen guten Einblick in die sozialen Probleme Kirgistans bekommt und es steckt auch eine Menge toller Arbeit dahinter.


Meine Kontaktpersonen in Bishkek waren Nazgul Suleimanova und Natalia Yatsenko, beide ziemlich cool, so dass das arbeiten Spaß gemacht hat. Nazgul und Natalia sprachen überraschenderweise fließend deutsch, waren witzig, sympathisch und ziemlich auf zack. Nazgul (rechts) besitzt drei permanent klingende Handys.
 
 
 
Wir sind am ersten Tag erst einmal in ein Restaurant gegangen. Nach einem kurzen Mittagessen ging es sofort zur Sache: "Wen willst du alles sprechen? ... Also: Mütter, Sozialarbeiterinnen ... in ein Kinderheim willst Du gehen, in ein Kinderkrankenhaus, zu einer Familie, die ein Kind adoptiert hat ... Ok wir rufen sofort an und klären das..." 
 
Und tatsächlich - innerhalb von einer halben Stunde standen alle Interviewtermine, an insgesamt fünf verschiedenen Orten, an zwei Tagen und zwar heute und morgen. Ich war baff. So etwas habe ich bei meiner Arbeit zu Hause noch nie erlebt. Da braucht man viel mehr Vorlauf. "In Kirgistan funktioniert alles spontan", sagt Nazgul, "wir wissen nie, wie unser nächster Tag wird."
 
Für mich folgten dann zwei Tage mit sehr intensiven Einblicken, mit schrecklichen Geschichten, aber auch positiven Erlebnissen.
 
Eine Geschichte will ich hier mal ausführlicher erzählen - die Geschichte von Ruslan, einem fünfjährigen Sozialwaisen. (Sozialwaise bedeutet: Waise, weil die Eltern arm sind) 
 
Nazgul hat mich zu Ruslans Adoptivfamilie geführt, am Stadtrand von Bishkek. Dort sah ich zunächst einen ganz normalen kleinen Jungen, der mit seinem dreijährigen Bruder auf dem Bett saß, mit Spielsachen. Die Jungs waren süß: "Gdje tjotja?" - (Wo ist die Tante) ... Die Kids lachen und zeigen auf Nazgul. "A gdje djadja" - (Wo ist der Onkel) ... Die Kids zeigen auf mich.
 
Ruslan ist trotz seiner fünf Jahre auf dem gleichen sprachlichen Level, wie sein kleiner Stiefbruder. Er war lange Zeit sehr aggressiv, hat ständig Teller und Blumenvasen umgeworfen, erzählt sein Adoptivvater, doch so langsam bekommen sie ihn in Griff.
 
Ruslan wurde direkt nach seiner Geburt ausgesetzt. Polizisten haben ihn auf einer Parkbank gefunden. Er war fast tot, komplett blau angelaufen, hat nur noch schwach nach Luft gejapst. Seine Mutter hat ihn ausgesetzt. Er hat einen Herzfehler, konnte sich kaum bewegen.
 
Nazgul sagt, man muss sich das in etwas so vorstellen: Viele kirgisische Frauen versorgen 2-3 Kinder mit 100 Euro im Monat. Sie arbeiten nebenbei in der Landwirtschaft, verkaufen auf dem Markt, nähen. Sie leben ein hartes Leben. Und dann kommt ein krankes Kind, das ständig umsorgt werden muss, das Medikamente und Operationen benötigt. Viele Frauen sehen da keinen anderen Ausweg, als das Kind irgendwie loszuwerden.  
 
Ruslans normaler Lebensweg wäre vermutlich so verlaufen: Die Polizisten hätten ihn in eine Kinderklinik gebracht, dort hätte man ihn auf Staatskosten operiert und im Erfolgsfall (wohl eher unwahrscheinlich) in ein Waisenheim gesteckt.
 
Nazgul hat viele kirgisische Waisenheime so erlebt: Eine verschlossene staatliche Einrichtung, zu der man von außen keinen Zutritt hat. Eine Betreuerin für 16 Kinder. Sie werden gefüttert, medizinisch versorgt, doch sonst passiert da nicht viel: kaum Kommunikation, kaum Berührungen. Die Kinder liegen herum, wie im Stall, sind in körperlich und geistig unterentwickelt.
Nazgul hatte einige solche Kinder auf Arm. Als sie sie wieder zurückgelegt hat, fingen sie meistens sofort an zu schreien und zu weinen und versuchten sich an Nazgul zu klammern. 
 
Ruslan wäre vermutlich kraftlos wimmernd in seinem Bett gelegen, völlig uninteressant für eine Adoption. Nach kurzer Zeit wäre er wohl gestorben, so wie viele Kinder hier. Doch er hatte Glück und mit Nazgul einen echten Schutzengel. Ruslan war das erste Waisenkind überhaupt, das aus Kirgistan ausgeflogen wurde, für eine komplizierte Operation in der Schweiz. 
 
Ruslan ist ein Extremfall. Die alltägliche Arbeit von Uplift sieht so aus:
 
Eltern in Geburtsstationen und Kinderkrankenhäusern abfangen, sie überzeugen dass sie ihre Kinder nicht abgeben, sie finanziell und medizinisch unterstützen. 
 
Kinderheime zu "menschenfreundlicheren" Einrichtungen umfunktionieren. In Nazguls Team gibt es rund 30 so genannte "Uplift Mütter". Das sind ausländische Frauen (oft Ehefrauen von NGO-Mitarbeitern oder Diplomaten), die freiwillig helfen, oder Einheimische, die ein Taschengeld bekommen. Sie gehen in insgesamt drei staatliche Waisenheime hinein (ein langer mühsamer Weg, dass das akzeptiert wurde), bekommen dort Patenkinder zugewiesen und treten als Bezugspersonen auf. Sie massieren die Babys und sprechen mit ihnen.
 
 
 
Die Erfolge sind enorm, sagt Nazgul. In einem Waisenheim z.B. konnte die Kindersterblichkeit von 20 pro Jahr auf 2 pro Jahr gesenkt werden. Die Kinder entwickeln sich mittlerweile fast normal.       
 
 

Das ganze führte sogar soweit, dass die kirgisische Sozialministerin die Uplift-Vereinsvorsitzende in Deutschland kontaktiert hat: "Ich nenne Euch ein weiteres Waisenheim, bitte geht da auch hin."
 
Wir haben viele traurige und fröhliche Kinder gesehen, einer Uplift-Mutter aus der dominikanischen Republik bei der Arbeit zugeschaut. (Ihr Kind wird vermutlich erst einmal Spanisch lernen, aber immerhin, es lernt irgendetwas.)
 
Wir haben eine Selbsthilfegruppe für Eltern mit behinderten Kindern besucht.
 
 
 
 
Hier haben mir einige Frauen erzählt, wie verzweifelt sie waren und dass es für sie ein Segen ist, zu erleben, dass auch andere Familien ein behindertes Kind haben. Meist hatten ihnen die Ärzte gesagt: Gib das Kind ab, was willst Du damit, die Belastung packst Du nicht.
 
In Kirgistan ist übrigens die Prozentzahl der behinderten Kinder extrem hoch, kein Vergleich zu Deutschland. Eine Kinderärztin nannte mir als Hauptgrund: kein Geld für eine medizinisch korrekte Behandlung während der Schwangerschaft, statt zum Arzt zu gehen wird weiter gearbeitet.
 
Zu den Bildern muss ich sagen: Es mag ein bisschen nach heiler Welt aussehen, das hat zwei Gründe: Zu den Kinderheimen, in denen Uplift nicht aktiv ist, war mir der Zutritt verboten. In den Räumlichkeiten der von Uplift betreuten Kinderheime durfte ich mich nur umsehen und nicht fotografieren. Es waren einigermaßen freundliche kleine Zimmer, in denen meistens 5-6 Gitterbetten nebeneinander standen. Es wurde sich um die Kinder gekümmert, so mein Eindruck. 

2 Kommentare:

  1. Hi Oliver, ich finde Deinen Bericht enorm gut. Du schaffst es in der Kürze einen Überblick über die Arbeit zu geben, erzählst spannende Details und bringst dazu noch den Geist von Uplift rüber. Das ist 1a gelungen. Ich selbst beschäftige mich mit Flyer, Website und Präsentationen von Uplift.

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  2. Hallo, zu den anderen Informationen über uplift-aufwin sehr informativ.
    die Initiative finde ich nachahmungswert, da es sich um Hilfe zur Selbsthilfe handelt.
    Ich werde mal Kontakt aufnehmen. Ich selber bin Kinderphysio im Ruhestand und könnte evtl. meine ehrenamtliche Arbeit anbieten.

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