Donnerstag, 14. März 2013

Ankunft in "Openyourbagshowmeyourpassport City" (usbek.: Toshkent)

Wir fuhren also nichts böses ahnend mit dem Sammeltaxi von der usbekischen Grenze in Richtung der Hauptstadt Tashkent.

Im Auto:

- der Fahrer, ein extrem dicker, alter, gemütlicher Usbeke mit Schnurrbart, sah aus, wie ein italienischer Mafiosi
- ein Mitte zwanzig jähriger Usbeke mit afghanischen Wurzeln, der permanent irgendein Tabakzeugs gekaut hat und dadurch etwas high wirkte
- eine Frau mit Kopftuch, die nicht viel gesagt hat, uns aber immer wieder mit einer Art Riesenkrapfen verköstigt hat
- die lustigste Mitfahrerin bislang: eine 60-jährige Russischprofessorin aus Dushanbe mit aserbaidschanischen Wurzeln, geboren in Usbekistan, mit einem sehr bösartigen Humor

Wir fuhren los und mussten nach wenigen Metern Stopp machen, weil die Mitfahrerin mit Kopftuch bei sich zu Hause etwas vergessen hatte. 10 Minuten mussten wir auf sie warten. Dann fuhren wir erneut los und mussten nach etwa 5 Kilometern wieder Stopp machen, weil die Mitfahrerin mit Kopftuch auch in einem anderen Haus noch etwas vergessen hatte. Das kostete uns weitere 15 Minuten. Dann fuhren wir erneut los und mussten nach etwa 10 Kilometern schon wieder Stopp machen, weil die Mitfahrerin mit Kopftuch, der Tabakkauer und der Dicke in einen heiligen Schrein gehen mussten, um für eine sichere Fahrt zu beten.

Die Russischprofessorin und ich warteten im Auto. Sie sagte zu mir: "Genau das ist es, was mich hier stört. Beten können sie, aber nichts kriegen sie auf die Reihe, voellig unzivilisiert. Ihr Präsident ist, du entschuldigst den Ausdruck, nichts weiter, als ein Scheisskerl, aber keiner traut sich etwas zu sagen, die beten und alles wird gut."

Hui, die Frau hat ganz schön Pfeffer. Als die Usbeken nach ihrem Gebet zurückkamen, mussten wir die Sitzordnung ändern, denn die Russischprofessorin wollte nicht mehr neben dem Tabakkauer sitzen, er würde so komisch starren. Also kam ich in die Mitte.

Die Russischprofessorin sorgte von nun mit lustigen Anekdoten, heftigen Beschimpfungen des usbekischen Lebensstils und der Politik fuer Stimmung. Sie war dabei teilweise so in Fahrt, dass sich ihre ohnehin schon schrille Stimme überschlug. Aber das machte nichts, denn sie war lustig. Zum Beispiel, als sie für mich Partei ergriff.

Der Tabakkauer lachte über mich: "Wie du bist 33, noch nicht verheiratet, keine Kinder, hahaha, wo gibt's denn sowas?" Sie schnauzte ihn an: "Ihr Usbeken seid alle Schwachköpfe. Wie alt bist Du, wie viele Kinder hast Du?" - "Ich bin 28, habe vier Kinder, mein ältester Sohn ist 10" - "Und was war dein Leben bislang? Auf der Straße herumrennen, irgendeinen Mist verkaufen, sich abquälen: Hilfe, Hilfe, wie kann ich all die hungrigen Mäuler zu Hause stopfen. Schwachköpfe seid ihr! Dafür haben Euch Eure Mütter doch nicht geboren. Oliver, du machst es richtig. Guljaj, guljaj! (Fahr herum!) Heirate nach 40!"

Betretene Stille im Auto. Ich muss grinsen. So etwas habe ich aus einem zentralasiatischen Mund noch nicht gehört. Wegen meines Familienstandes ausgelacht wurde ich dagegen schon öfters. Doch meistens sind die jungen verheirateten Burschen auch gleichzeitig ziemlich fasziniert und schwärmen von den vielen huebschen Frauen, die ich flachlegen könnte. (Was die da wohl kompensieren?)

Wir fuhren und fuhren, tief ins Auenland (sah zumindest ein bisschen so aus) hinein, die Landschaft ward grün und hügelig...



Doch dann fing es zu stürmen und zu schneien an. Wir sahen kaum noch etwas und mussten an einer Tankstelle für eine knappe Stunde Rast machen, weil sich der Fahrer Winterreifen draufmachen lies. Dann ging es nur noch im Schneckentempo weiter. Ich sollte eigentlich am frühen Abend in Tashkent sein. Leider waren wir am nächsten Morgen um sechs Uhr gerade mal auf halber Strecke, in Samarkand (dort stiegen die anderen aus). Samarkand war komplett vereist. Wir mussten 5 mal raus aus dem Taxi und schieben, weil die Raeder des Autos durchdrehten. Leider war der Fahrer zu muede, um weiter nach Tashkent zu fahren. Er gab mir ein bisschen Geld zurueck und fuhr mich zu Busbahnhof. Dieser oeffnete allerdings erst eine Stunde spaeter, um 7 Uhr, so dass ich in der eisigen Kaelte warten musste. Dann stellte sich recht schnell heraus, dass die Busse nicht fahren werden, weil die Strassen zu glatt sind. Na toll. Zum Glueck habe ich zwei supernette usbekische Studenten getroffen, die auch nach Tashkent wollten und so haben wir uns zu dritt ein Sammeltaxi geteilt, um dann am Nachmittag, endlich, nach knapp 30 Stunden, in Tashkent anzukommen.

Was kann ich ueber die groesste Stadt Zentralasiens sagen? Mann koennte Tashkent auch "Openyourbagshowmeyourpassport City" nennen. Ich weiss nicht, wovor dieser Praesident so viel Angst hat, aber offenbar moechte er jeden Buerger auf Schritt und Tritt kontrolliert wissen. Ueberall in der Stadt stehen Polizisten herum, an jedem U-Bahnhof sind es etwa zehn. Acht gucken in die Gegend, zwei durchsuchen das Gepaeck jedes Fahrgasts und kontrollieren, in meinem Fall, den Pass und das Visum. Sie sind dabei meist hoeflich und kassieren auch kein Schmiergeld, aber was fuer eine Verschwendung, all die jungen Kerle, die in tuerkisen Uniformen sinnlos herumhaengen und Staatsgewalt repraesentieren. Man muesste eigentlich mal eine Horde Berliner Antifas nach Tashkent schicken und sie: "Ganz Tashkent hasst die Polizei!" oder "Usbekistan, Bullenstaat, wir haben dich zum kotzen satt!" skandieren lassen. Waere mal interessant, was dann passiert.

Ich habe meine Tashkenter Gastomi Gulnara gefragt, ob sie die Polizeipraesenz nicht etwas uebertrieben findet. Ihre Antwort war typisch fuer Usbeken: "Das ist aus Sicherheitsgruenden noetig. Bei uns wird nie ein Tourist angegriffen. In Kasachstan ist es viel gefaehrlicher, als bei uns." Da kann ich ja froh sein, dass Tashkent nicht, wie Almaty, ziemlich sicher ist, sondern bombensicher.

Auch etwas eigen ist die Registrierwut in Usbekistan. Die Regierung moechte uns Touristen auch auf Schritt und Tritt beobachtet wissen. Ich muss mich in jedem Hotel registrieren lassen und die Registriercoupons in meinen Pass heften. Wenn ich da ein paar Tage Luecke habe, kann es theoretisch maechtig Aerger geben.

Ein echter "Kracher" ist auch das Geld...


Nein, ich habe leider nicht den Jackpot geknackt. In Usbekistan herrscht eine starke Inflation. Ein Euro ist rund 3000 usbekische Som wert. Leider ist die groesste Note im Umlauf der 1000 Som-Schein.

Jetzt stellt Euch mal einkaufen in Deutschland vor und es gibt nur 10 Cent, 20 Cent und 30 Cent-Scheine. Das, was auf meinem Bett herumliegt, sind gerade mal 15 Euro. Man hat staendig dicke Buendel dabei und blaettert die Kohle hin. Die Flocken gibts in der Regel auf dem Schwarzmarkt, aus dem Bankautomaten holt man sich US-Dollars und dann geht das froehliche Getausche und Gezaehle los.

Und Tashkent? Och, nix ...


Ein bissl Palaste, Hochhaustuerme, Parks und Basare, nicht der Rede wert. Die richtigen Kracher Samarkand, Buchara und Khiva werde ich deutlich besser bebildern.
  

1 Kommentar:

  1. Lieber Oliver, hach, es macht richtig Spaß, mit dir mitzureisen. Liest sich alles wunderbar und ich freu mich, dass du gut über die letzte Grenze gekommen bist. MP3-Player, alles klar! ;o) Schön dass es mit Alenka in Duschanbe geklappt hat. Und jetzt bin ich gespannt, was für journalistisch verwertbare Geschichten du in Usbekistan aufsammelst. Viel Glück weiterhin. Und immer schön die Jummis um die Som-Scheine schnallen!

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